Lina, Flora und Rosa Cahn
Thewaltstraße 11

Lina Cahn, geb. Rosswald, wurde am 17. Dezember 1870 in Eschborn geboren. Sie heiratete den Königsteiner Joseph Cahn (1862-1920), der aus einer schon sehr lange in der Hauptstraße 38 ansässigen Familie stammte.

Lina und Joseph Cahn hatten zwei Töchter: Die am 13. Juli 1898 geborene Flora und die am 1. Juni 1901 geborene Rosa. Beide kamen in Königstein zur Welt und gingen auf das St. Anna-Lyceum, die heutige Ursulinenschule. 1920 starb der Vater Joseph Cahn.

In den 30er-Jahren nahm Lina Cahn in ihrer Wohnung in der Thewaltstraße bis 1935 auch Kurgäste auf, die sie nach den rituellen Vorschriften betreute. Davor hatte sie in der Herzog-Adolph-Straße 5 gelebt und vorübergehend Waschpulver, Seife und Ähnliches verkauft. Möglicherweise im selben Geschäft verkaufte ihre Tochter Rosa von 1924 bis 1927 Wäsche. 1928 und 1930 arbeitete Rosa Cahn mit einem Aushilfsvertrag als Kontoristin bei der Stadtkasse Königstein. Hier kam es zu einem Arbeitsgerichtsprozess, der mit einem Vergleich endete.

Flora Cahn hatte nach der Schulzeit Schreibmaschine und Stenographie gelernt und danach verschiedene kaufmännische Stellungen inne. Vom 18. März 1929 bis zum 8. Mai 1933 arbeitete sie beim Arbeitsamt in Frankfurt und verdiente dort monatlich 135 RM. Schon kurz nach der Machtergreifung Ende Januar 1933 hatten die Nationalsozialisten am 7. April 1933 das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erlassen. Es diente dazu, jüdische und politisch missliebige Beamte aus dem Staatsdienst zu entfernen. Nach diesem Gesetz wurde Flora Cahn allein wegen ihrer jüdischen Herkunft entlassen und war danach arbeitslos.

Im August 1933 ging sie nach Frankreich. Sie arbeitete dort gelegentlich als Hausangestellte, hatte jedoch keine Arbeitserlaubnis. Deshalb wurde sie im Frühjahr 1935 ausgewiesen und lebte wieder in Königstein bei ihrer Mutter. Teilweise bezog sie Arbeitslosenunterstützung, teilweise arbeitete sie in einem Haushalt. Bis 1939 lebte und arbeitete sie an verschiedenen Orten: Braunschweig, Bamberg, Frankfurt, Bad Nauheim, Gelsenkirchen, Berlin und auch Königstein. Von Juli 1938 bis August 1939 arbeitete sie unentgeltlich bei der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, kurz unterbrochen von einer fünfwöchigen Anstellung in Berlin. Als sie im August 1939 auswanderte, bekam sie „ein Abschiedsgeschenk von einigen hundert Reichsmark und die Gemeinde bezahlte meine Fahrtkosten nach England“, wie Flora Cahn nach dem Ende der Nazi-Herrschaft berichtete.

In England wurde sie zunächst vom Jüdischen Komitee unterhalten. Dann arbeitete Flora Cahn einige Monate als Hausangestellte, ab Frühjahr 1940 als Kellnerin. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wanderte sie in die USA aus. Dort kam sie am 7. April 1947 an und arbeitete dann als Kellnerin und Verkäuferin. Am 26. November 1954 stellte sie einen Antrag auf Entschädigung, den sie mit Florence Cornell unterzeichnete.

Warum Lina und Rosa Cahn nicht emigrierten ist unklar. Der Kurbetrieb für Juden wurde nach 1933 immer schwieriger und kam in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre zum Erliegen. Lina Cahn durfte keine Kurgäste mehr aufnehmen. Wahrscheinlich wurde deshalb die finanzielle Situation von Mutter und Tochter immer schwieriger. Im März 1938 zogen Mutter und Tochter nach Frankfurt in die Hans-Handwerk-Str. 63 (= Lange Straße). Rosa Cahn arbeitete als Hausangestellte im Westend, Lina wurde zur Fürsorgeempfängerin. Sie wohnten in einer Zwei-Zimmer-Wohnung und vermieteten eines der Zimmer unter.

Aufgrund der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom Dezember 1938, die Juden zwang, ihren Grundbesitz und ihre Betriebe zu verkaufen, mussten auch Lina Cahn und ihre Töchter im Oktober 1939 eine ihnen gehörende Wiesen- und Ackerfläche in einer Größe von 31 ar in Schneidhain veräußern. Der Kaufvertrag musste genehmigt werden. Die Verkäuferinnen durften nicht über den Erlös verfügen, sondern dieser musste auf ein Sperrkonto eingezahlt werden.

Lina Cahn schrieb daraufhin an die Devisenstelle in der Goethestr. 9 in Frankfurt, dass sie keinerlei Vermögen besitze und der Kaufpreis nur zur Hälfte ihr gehöre. Die andere Hälfte gehöre ihrer Tochter Rosa, Flora hatte ihren Anteil an ihre Schwester abgetreten. Sie bat darum, für die geringe Summe von 165 RM nicht extra ein Konto einrichten zu müssen. Schließlich wurde Lina Cahn davon befreit, ein Sicherungskonto zu führen.

Gemeinsam mit ihrer 40 Jahre alten Tochter Rosa wurde die 70-jährige Lina Cahn am 22. November 1941 von Frankfurt nach Kowno in Litauen deportiert. Dort wurden die beiden Frauen drei Tage später am 25. November 1941 erschossen.

Text: Petra Geis