Familie Heß
Klosterstraße 2

Adolf Heß, geb. 3.1.1889, stammte aus Bergen, dem heutigen Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim. Seine Frau wurde am 13. Januar 1893 als Berta Mayer in Cönen, heute einem Ortsteil von Konz bei Trier, geboren. Am 4. April 1909 kam Berta, möglicherweise als Hausmädchen, nach Königstein.

Berta und Adolf Heß hatten zusammen drei Kinder: die beiden Töchter Liesel Henriette und Ilse und den Sohn Werner Bernhard. Beide Mädchen starben früh. Liesel wurde nur fünf Jahre alt und starb im Jahr 1926. Ilse folgte ihr im Alter von elf Jahren, am 45. Geburtstag ihres Vaters, im Jahr 1934. Die Ursache des frühen Todes beider Mädchen ist unbekannt. Die beiden Kinder sind auf dem jüdischen Friedhof in Königstein-Falkenstein beigesetzt.

Der Sohn Werner Bernhard (Bernhard wie sein Großvater väterlicherseits) kam am 16.11.1935 zur Welt. Werner wäre im Jahre 1942 eingeschult worden. Da bereits im Jahr 1939 jüdischen Kindern der Schulbesuch verwehrt wurde, darf davon ausgegangen werden, dass Werner im Frühjahr nicht wie seine Altersgenossen eingeschult wurde. Von Werner findet sich in den Akten des Königsteiner Stadtarchivs am 10.6.1942 die Erstellung einer Kennkarte. Nach den abgefragten Kennzeichen war er von Gestalt schwächlich, sein Gesicht länglichrund, seine Augen braun und sein Haar hellblond.

Adolf Heß war als Metzger in der Metzgerei und dem Hotel- und Restaurantbetrieb des Ferdinand Cahn II angestellt. Zusammen mit seiner Frau Berta übernahm er am 1.3.1920 den Betrieb des Hauses. Im Sinne seines Vorgängers führte Adolf Hess das Haus rituell, d.h. dass das Hotel koscheres Essen anbot.

Der Umfang des Betriebes erforderte die Mithilfe von Angestellten. In der Metzgerei waren teils bis zu drei Bedienstete beschäftigt. Die Mitarbeiter im Hause Cahn waren teils jüdischen Glaubens, zum Teil auch Nichtjuden. Die jüdischen Männer mussten den Hausherrn im rituellen Schlachten und in der Einhaltung der Schabbatregeln unterstützen. Die nichtjüdischen Angestellten sollten selbständig die anfallenden Arbeiten an den jüdischen Feiertagen und an Schabbat ausführen können, da es den gläubigen Juden zu diesen Gelegenheiten verboten ist bestimmte Verrichtungen auszuführen. Im Hof des Hotels Cahn wurde am Laubhüttenfest eine beheizbare Sukka (Laubhütte) für die Gäste aufgebaut und entsprechende Verpflegung angeboten. Im Sommer fand allabendlich in den Räumen des Hotels ein Gottesdienst statt. In der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19.6.30 heißt es: "Im Hotel Cahn wird eine gerade ideale Verpflegung und aufmerksame Bedienung geboten".

Im Zimmerverzeichnis von 1935 sind für das Hotel Cahn 6 Betten mit einfachem Komfort (fließend Wasser) angeboten. Schon bald nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde es sowohl für die jüdischen Kurgäste, als auch die jüdischen Gewerbetreibenden unangenehm. 1935 fühlten sich die ersten Hotelbetreiber in Königstein bemüßigt ihr Haus als judenfrei anzupreisen. Am 22.4.1937 wurde amtlicherseits nach den Bettenzahlen der jüdisch geführten Häuser gefragt (Hotel Cahn mit 4 Betten).

Adolf Heß war Soldat im 1.Weltkrieg, aus dem er schwer kriegsbeschädigt zurückkehrte. Auf seiner Passagiergutliste für die geplante Emigration findet man seinen Eintrag über die Schuhe, die er wegen der Kriegsverletzungen vom Versorgungsamt gestellt bekam und auch die Angabe eines Stockes. Daraus lässt sich schließen, dass er eine schwere Fußverletzung von dieser Zeit erlitten hat.

Adolf Heß wurde im Januar 1930 zum Magistratsschöffen gewählt. Der Bürgermeister schrieb über ihn: „Heß erfreut sich besten Rufes“. Ende 1930 übernahm er den Kultusvorstand für den Synagogenbezirk Königstein-Falkenstein-Kronberg.S eit dem Ende der 20er Jahre gab es eine „Königsteiner Notgemeinschaft“, die sich die Hilfe Bedürftiger vor Ort zum Ziel gesetzt hatte. Dort wirkte auch Adolf Heß als Kultusvorsteher mit. Bei Machtübernahme der Nationalsozialisten mussten alle jüdischen Mitglieder ihre Ämter abgeben.

Dann kam der 10. November 1938. Metzgerei und Restaurant wurden am Morgen geschlossen, und der weitere Fleisch- und Wurstverkauf wurde untersagt. Bewirtung und Beherbergung wurden ebenfalls ab sofort verboten. Am Nachmittag dieses Tages wurde das Hotel Cahn, wie andere Häuser auch, Ziel der Zerstörung. Die Randalierer warfen Steine in die Fenster, zerschlugen im Inneren Bilder und rissen die Latten vom Hofzaun. Das Haus der jüdischen Kultusgemeinde im Ölmühlweg 19, das auf Grund seiner Tätigkeit als Kultusvorsteher auf den Namen Adolf Heß eingetragen war, wurde demoliert. Die Einrichtungsgegenstände waren durch schwere Hammerschläge zum Großteil völlig zertrümmert. Die Familie des Rabbiners war zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause.

Die Synagoge im Seilerbahnweg war am frühen Abend das Ziel der Ausschreitungen. Die Kirchenbänke wurden zerschlagen, Bänke, Tische und Vorhänge wurden auf die Straße geworfen. Steine flogen in die Fenster. Im Innern wurde ein Treppengeländer abgerissen, eine Säule umgelegt. Die Kirchenbänke lagen auf einem Haufen und brannten. Das Feuer war wohl zusätzlich mit Petroleum und Stroh angefacht worden. Noch vor Mitternacht stürzte das Kuppeldach ein. Die Synagoge war zerstört. Nur wegen eines angrenzenden und durch das Feuer bedrohten Wohnhauses wurde die Umgebung gegen das Feuer abgeschirmt.

Am darauf folgenden Morgen wurden die jüdischen Männer Königsteins inhaftiert und vorübergehend nach Buchenwald verschleppt. Adolf Heß und Albert Cahn, wurden wegen ihrer Schwerbehinderung davon ausgenommen.

1938 wurde das Hotel, wie alle jüdischen Gewerbebetriebe amtlicherseits geschlossen. Am 16. Oktober findet sich der letzte Eintrag über zwei Gäste. Am 18.1.1939 verkaufte Adolf Heß verfolgungsbedingt seine Liegenschaft. Adolf Heß und seine Familie durften laut Vereinbarung im Kaufvertrag bis zu einer geplanten Auswanderung, längstens bis zum 1.10.1939, im Haus wohnen bleiben. Von nun an lebte die Familie von der Rente Adolfs und einer finanziellen Unterstützung durch die Jüdische Wohlfahrtspflege.

Adolf Heß beschloss mit seiner Frau und dem kleinen Werner auszuwandern. Im April 1939 lagen den amtlichen Stellen Ausreisegesuche mit Passagiergutlisten vor. Die Mitnahme wurde für den Zeitraum von drei Monaten genehmigt. Weshalb es zu keiner Ausreise kam ist ungeklärt. Am 8.9.1939 zog die Mutter von Bta Heß, Clementine Mayer, zur Familie. Ob es durch ihren Zuzug zur Verschiebung des Plans kam? Möglicherweise waren aber auch fehlende Geldmittel die Ursache.Es gab einen erneuten Antrag auf Ausreise in die USA vom April 1940. Auch hier wurden die Passagiergutlisten bis auf einige Ausnahmen genehmigt. 1941 wurde das Verfahren amtlicherseits eingestellt, weil seit 1940 keine Ablieferung der Gegenstände aus den Listen erfolgte. Es lagen außerdem sowohl von der Stadt Königstein, als auch vom Finanzamt Unbedenklichkeitsbescheinigungen vor, die die Ausreise ermöglicht hätten.

Adolf Hess, seine Familie und seine Schwiegermutter lebten in der Klosterstraße bis zu ihrem Abtransport am 28.8.1942. Am 31.8.42 findet sich in der Taunus-Zeitung ein kleiner Artikel mit der Überschrift: „Königstein jetzt judenfrei“ und konstatiert, die letzten ansässigen Juden hätten die Stadt dieser Tage „verlassen“. Am Tag darauf, dem 1.9.1942, wurden sie von Frankfurt ins Ghetto Theresienstadt transportiert.

1946 gab Johanna Klemm, die als Königsteinerin mit jüdischen Wurzeln ebenfalls nach Theresienstadt kam, gegenüber dem Bürgermeister der Stadt Königstein einen Bericht ab. Darin erwähnt sie ein Zusammentreffen mit Adolf Heß im Ghetto.

Am 9.10.1944 schließlich wurden Berta, Adolf und der kleine Werner ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Berta muss noch im Verlauf des Transports am 9. Oktober 1944 umgekommen sein. Das Todesdatum von Adolf und Werner Heß in Auschwitz ist nicht bekannt.

Text: Barbara Kramer