Louis und Selma Kahn
Ölmühlweg 5

Louis Kahn wurde am 28.3.1883 in Hausen über Aar geboren. Seine Eltern waren Meyer Kahn (30.10.1857) und Bertha, geb. Grünebaum (16.02.1859). Verheiratet war er mit Selma, geb. Löwenstein. Die Familie hatte zwei Söhne, Manfred (30.11.1913) und Hugo (21.11.1914).

Hausen über Aar gehörte zur jüdischen Gemeinde Kettenbach. Ihr Ursprung geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Kettenbach bildete das Zentrum aller jüdischen Gemeinden des Aartales. Hier stand auch die Synagoge der Gemeinde. In den 30-iger Jahren wohnten in Hausen drei jüdische Familien mit insgesamt 14 Personen. Ihre Anwesen standen in der Aarstraße. In den örtlichen Vereinen waren sie sehr aktiv. Ein früherer Nachbar schrieb 2014: „Es waren für meine Familie hilfreiche und gute Nachbarn“.

Louis Kahn war Viehhändler. Die Mehrheit der deutschen Viehhändler, gemäß einer Erhebung aus dem Jahre 1917, waren Juden. Auch sein Schwiegervater Feist Löwenstein und dessen Söhne Albert, David und Hugo Löwenstein betrieben dieses Handelsgewerbe.

Der Handel mit Vieh wurde an vielen Orten in der Region betrieben. Um 1930 gab es beispielsweise in der Stadt Wiesbaden mit ihren heutigen Vororten 14 Viehhändler. Die Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben nach 1933 führte zu einem massiven Umsatzeinbruch auch in diesem Gewerbe.

Das Anwesen von Louis Kahn wurde Mitte der 30er Jahre von der Bank gekauft. Seine Söhne Hugo (22) und Manfred Kahn (23) emigrierten 1936 und 1937 nach Montevideo in Uruguay. Letztendlich musste auch Louis Kahn seinen Viehhandel einstellen. 1938 plante Louis Kahn mit seiner Frau Selma anscheinend den Söhnen zu folgen und ebenfalls nach Montevideo zu emigrieren. Er zog mit seiner Frau Selma zu seinem Schwiegervater Feist Löwenstein nach Königstein in den Ölmühlweg 5. Zwei Tage nach dem Novemberpogrom 1938, am 11.November 1938, wurden Louis Kahn und sein Schwager Albert Löwenstein in Königstein im Ölmühlweg 5 verhaftet und im Konzentrationslager Buchenwald interniert.

Im Konzentrationslager Buchenwald wurden bei dieser reichsweiten Aktion insgesamt 9.845 Juden interniert. Es starben bis Jahresende bereits 771 Menschen. Einer davon war Louis Kahn (55). Er starb am 19.11.1938. Es war der 48.Geburtstag seiner Frau.

Selma Kahn wurde am 19.11.1890 in Esch als Tochter von Rosa und Feist Löwenstein geboren. Nach dem Tod ihres Mannes und der Emigration ihrer kompletten Familie (Kinder, Vater und Brüder), wohnte sie ab Anfang 1939 wechselnd bei unterschiedlichen Freunden in Frankfurt und der umliegenden Region. Es ging ihr finanziell nicht gut. Selma Kahn erhielt Unterstützung von der jüdischen Wohlfahrtspflege.

Am 12.9.1939 zog sie nach Königstein in die Neugasse 1 zu Familie Steinberg. Sie beantragte immer wieder einen Auslandsreisepass zu Auswanderungszwecken. In einem handschriftlichen persönlichen Schreiben an den damaligen Bürgermeister von Königstein schrieb sie am 11. Mai 1940: „Ich habe 2 Söhne seit 3 u. 4 Jahren in Montevideo (Uruguay), dieselben haben mich zur Einwanderung angefordert und es sind bereits meine Papiere durch den zuständigen Herrn Konsul in Frankfurt am Main nach Montevideo an das Ministerium am 13. August 1939 übersandt worden. Wie mir bereits mitgeteilt wurde haben meine Kinder und Verwandten in USA die benötigten Mittel zur Einwanderung bereit gestellt …“.

Sie bekam keinen Auslandsreisepass zu Auswanderungszwecken. In Königstein blieb sie ungefähr ein Jahr bis zum 8.11.1940. Sie musste dann umziehen in die Hans-Handwerk-Straße 34, in eines der sogenannten etwa 300 "Judenhäuser" in Frankfurt.

Am 7.6.1942 erhielt Selma Kahn die schriftliche Benachrichtigung ihrer Deportation. Der Zug verließ Frankfurt am Morgen des 11.6.1942 mit etwa 1.250 Juden. Der jüngste Deportierte war ein acht Monate altes Baby aus Wiesbaden. Nach zweitägiger Fahrt kam der Zug am Bahnhof Lublin an. Dort verließen ca. 190 als "arbeitsfähig" klassifizierte Männer den Zug. Sie kamen ins Konzentrationslager Majdanek zur Zwangsarbeit. Der Zug fuhr weiter in das Konzentrationslager Sobibor, dieses bestand seit Mai 1942. Alle im Zug verbliebenen Juden, überwiegend Frauen, Kinder, Jugendliche und ältere Männer, wurden gleich nach dem Eintreffen im Vernichtungslager Sobibor ermordet - so auch die 51-jährige Selma Kahn.

Text: Christian Reichardt