Familie Steinberg
Neugasse 1 und Limburger Straße 9

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Seit den 20er Jahren lebten die Brüder Moritz (geb. 6.10.1891) und Hugo Steinberg (geb. 7.10.1894) in Königstein. Sie stammten aus Steinfischbach. Die Eltern Heymann und Johanna Steinberg hatten neun Kinder. Während die meisten anderen Geschwister in den 1920er und 1930er Jahren nach Camberg zogen, wurden Hugo und Moritz Steinberg in Königstein ansässig, wo sie als Viehhändler tätig waren. Die Brüder kauften Vieh ein und verkauften die geschlachteten Tiere an Großhändler.

Hugo Steinberg wohnte mit seiner aus Bad Mergentheim stammenden Frau Fanny (geb. 15.3.1906) und den drei Söhnen Mayer Helmut (geb. 20.4.1927), Moses Heinz (geb. 8.2.1929) und Heymann Herbert Günter (geb. 16.1.1935) zunächst in der Wiesbadener Straße 20 und später in der Neugasse 1 in Königstein. Moritz Steinberg, seine Ehefrau Sybilla (geb. 12.10.1898) und die beiden Töchter Lotte (geb. 4.4.1926) und Ruth Babette (geb. 6.11.1927) lebten in der Limburger Str. 9.

Seit Beginn der NS-Zeit spürten die beiden Brüder deutlich die sich verschärfende antisemitische Stimmung. Das Geschäft wurde boykottiert, so dass die Brüder „Arbeit für das Wohlfahrtsamt Königstein“ leisten mussten, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern.

Im Sommer 1935 kam es zu einem folgenschweren Vorfall bei einem Viehmarkt in Wächtersbach. Hugo Steinberg war mit 14 Kühen und 8 Rindern zu diesem Viehmarkt gekommen. „Auf dem Markt wurde das Vieh von SS- und SA-Leuten abgeschnitten und auseinander gejagt. Ich wurde blutig zu Boden geschlagen und habe heute noch Merkmale am Körper. Daher konnte ich nicht mehr nach meinem Vieh sehen und verlor alle Tiere.“ Dazu äußerte sich der Magistrat der Stadt Wächtersbach am 28. Mai 1963: „Es ist – soweit bekannt – zutreffend, dass der letzte von jüdischen Händlern besuchte Viehmarkt von Nationalsozialisten gesprengt, die Händler verfolgt wurden und das Vieh zeitweise herrenlos herumlief. Wo das frei umherlaufende Vieh zuletzt verblieb und was damit geschehen ist, kann heute nicht mehr ermittelt werden. … Durch die Länge der Zeit sind die ortskundigen Einwohner, welche über diesen Fall noch berichten könnten, in großer Zahl verstorben, so dass man heute kaum noch eine sichere Auskunft über die Vorfälle erhalten kann.“

Nach diesen Erfahrungen und der Tatsache, dass ihnen 1936 die Gewerbeerlaubnis „wegen Fehlens persönlicher und sachlicher Eignung“, so der Wortlaut der Mitteilung, entzogen worden war, bereiteten sich Moritz und Hugo Steinberg auf eine Auswanderung vor. Bis dahin waren sie jedoch zahlreichen weiteren Schikanen ausgesetzt. So wurde Moritz Steinberg im April 1938 die Ausstellung eines Reisepasses versagt, den er beantragt hatte, um einen in Paris lebenden Bruder zu besuchen.

Bis zum Novemberpogrom 1938 hatten viele jüdische Bewohner noch die Hoffnung, „dass der Spuk bald vorüber gehen würde“, weshalb Überlegungen zur Auswanderung aus Deutschland zwar immer wieder angestellt wurden, die Emigration aber oft nicht mit Nachdruck vorbereitet wurde. Die Reichspogromnacht zerstörte jedoch alle Hoffnungen auf ein Weiterleben in Deutschland. Angetrunkene Horden zogen grölend und randalierend durch Königstein, drangen in die Häuser der jüdischen Bewohner ein, so auch in die Wohnungen von Moritz und Hugo Steinberg. Ein Zeuge berichtete: „… bei Familie Steinberg … schrien dessen Kinder wie wahnsinnig vor Angst.“ Frau Steinberg habe kniend gebeten, doch aufzuhören und gefragt, was man ihm (dem Täter) denn getan hätte. Der in diesem Fall einzige Eindringling habe sich jedoch nicht stören lassen und weitergewütet.

Moritz Steinbergs Anwalt schilderte die Vorgänge 1955 folgendermaßen: „Als Nazis am 9. November 1938 in die Wohnung des Antragstellers drangen, zertrümmerten sie ein Schlafzimmer, in dem sie die Füße der Möbel abschlugen, Spiegel zerstörten usw. Die Matratzen blieben erhalten; die Möbel selbst waren nicht mehr brauchbar… Die Nazis zertrümmerten weiterhin auch das Speisezimmer, Tisch, 7 Stühle und Büfett und rissen die Vorhänge herunter. Lediglich die Kredenz (Anrichte) war nachher noch brauchbar.“

Zahlreiche jüdische Männer wurden verhaftet und nach Buchenwald deportiert, so auch Hugo und Moritz Steinberg. Hugo Steinberg erinnert sich: „Ich selbst wurde im Rahmen der November-Aktion verhaftet. Ich wurde blutig geschlagen. Anschließend kam ich nach dem KZL Buchenwald, wo ich in Block 4 untergebracht war.“ Weiter erklärte er, „bei der Ankunft im Bahnhof Weimar mussten wir alle in Reih und Glied antreten. Leider stand ich in der ersten Reihe. Dann rief ein SS-Mann: ´Kopf hoch`, und schlug im selben Augenblick mit einem Gummiknüppel auf mich ein. Dabei wurde mir das Nasenbein gebrochen und die Vorderzähne ausgeschlagen. Ich bekam eine Reihe von Schlägen und war blutüberströmt. Freilich hat sich niemand um mich gekümmert. Wir mussten dann zu einem bereits stehenden Lastwagen rennen. Beim Einsteigen bekam ich dann noch von einem SS-Mann einen Tritt mit dem Stiefel in meinen Leib und hatte außerordentliche Schmerzen. Freilich gab es im Lager keine Behandlung“. Vier Wochen lang waren die beiden Brüder im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Freigelassen wurden die Männer, wenn sie sich bereit erklärten, Deutschland binnen einer gesetzten Frist zu verlassen.

Moritz Steinberg gelang es am 13. Dezember 1938 mit seiner Familie in die USA zu fliehen, wo er den Namen Morris annahm. Der Königsteiner starb dort 1972.

Etliche Männer, so auch Hugo Steinberg, flüchteten zunächst ohne die Familie ins Ausland in dem Glauben, nur den Männern drohe Gefahr, um entweder abzuwarten oder um die Familie später nachzuholen. Hugo Steinberg gelang es noch kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, am 24. August 1939, nach England zu fliehen. Dort wurde er 1940 zusammen mit zahlreichen anderen deutschen Emigranten als „feindlicher Ausländer“ interniert und auf dem Schiff „Dunera“ nach Australien gebracht, wie 2000 weitere jüdische Flüchtlinge, die in England Zuflucht gesucht hatten. Die „Dunera“ war ein ehemaliger Truppentransporter, der traurige Berühmtheit erlangte, da es auf der Überfahrt zu Übergriffen der Wachmannschaften auf die Gefangenen kam. Dies führte später zu einer parlamentarischen Anfrage im englischen Unterhaus. In Australien angekommen, wurden die Gefangenen zunächst in Sydney und später im Landesinneren interniert.

Im Oktober 1942 wurde Hugo Steinberg freigelassen und blieb in Australien. Der gelernte Fleischer arbeitete in einer Farben- und einer Papierfabrik, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Es war Hugo Steinberg unter diesen Umständen nicht mehr gelungen, seine Familie nachzuholen. Eigentlich hatte die Familie vorgehabt, zusammen in die USA zu emigrieren. Die Kinder sollten vorübergehend in Holland untergebracht werden. Obwohl das Bürgermeisteramt keine Bedenken gegen die Erteilung eines Reisepasses für Fanny Steinberg erhoben hatte, gelang es der Familie nicht mehr, Deutschland zu verlassen.

Hugo Steinbergs Frau Fanny und die Söhne Helmut, Heinz und Herbert lebten noch bis 1941 in Königstein. Als letzte Adresse wird Hermesweg 4 in Frankfurt genannt. Von dort wurden sie am 22. November 1941 nach Kowno/Kaunas deportiert und ermordet.

Eigentlich sollte der Transport, der am 22. November 1941 von Frankfurt aus abfuhr, nach Riga gehen. In Wirklichkeit kam der Deportationszug nie in Riga an, sondern wurde nach Kowno umgeleitet, wo er nach drei Tagen Fahrt am 24. November 1941 eintraf. Als Begründung für diese Änderung wurde die Überfüllung des Ghettos in Riga genannt. Nach der Ankunft in Kowno mussten die fast tausend Menschen sechs Kilometer durch die Stadt zum Fort IX laufen. Bei diesem Fort handelt es sich um eine ehemalige Festung aus dem Jahr 1883, die in der Zeit der lettischen Republik als Haftanstalt diente. Im Oktober 1941 waren dort mehr als 10.000 litauische Juden erschossen worden. Die Verschleppten aus Frankfurt verbrachten zunächst die Nacht in den Zellen der Festung. Am folgenden Tag, am 25. November 1941, zwangen die Bewacher die Menschen zunächst zum „Morgensport“ in der eiskalten Luft. Im Dauerlauf mussten sie später in bereits von russischen Kriegsgefangenen ausgehobenen Gruben außerhalb der Umfassungsmauer des Forts laufen. In den bewaldeten Hügeln versteckte Schützen eröffneten das Feuer aus Maschinengewehren. Keiner der Verschleppten aus Frankfurt konnte diesem Massaker des Einsatzkommandos 3 entkommen. Bis zum Sommer 1944 wurden mehr als 50.000 Juden in den Befestigungsanlagen von Kowno erschossen.

Hugo Steinberg wollte nach dem Ende des 2. Weltkrieges nicht wieder in Deutschland leben.

Text: Angelika Rieber