Johanna Klemm
Adelheidstraße 1

Johanna Klemm wurde am 9. April 1886 unter dem Namen Johanna Löwenbaum in Frankfurt am Main geboren. Ihre Eltern, beide jüdischen Glaubens, betrieben in Frankfurt ein Geschäft, vermutlich im Einzelhandel. Johanna Klemm half dort immer wieder aus, ab 1919 leitete sie das Geschäft selbständig. Verheiratet war sie mit Max Klemm. Wie er besaß Johanna Klemm die evangelische Konfession. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, die nach ihrer Heirat nicht mehr in Königstein lebte. Das Ehepaar Klemm führte ein zunächst sehr einträgliches Zigarrengeschäft in Königstein in der Hauptstraße 23. Johanna Klemm war hauptsächlich für den Ein- und Verkauf sowie die Buchhaltung zuständig.  

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 sahen sich die Klemms zunehmenden Anfeindungen wegen Johannas jüdischer Abstammung ausgesetzt. So berichtet Johanna Klemm anlässlich eines Entschädigungsprozesses am 31. März 1954, dass ihr nach 1933 die Mitarbeit im Laden ihres Mannes zwar nicht amtlich verboten worden sei. Dennoch sei es ihr unter den politischen Umständen unmöglich gewesen, sich noch „dem Publikum“ zu zeigen. Da sie sich daraufhin vollständig aus dem Laden zurückgezogen habe, seien sie und ihr Mann bis 1940 nicht verfolgt worden. Gleichwohl hätten sie Schikanen aller möglichen Art erdulden müssen, die „von Seiten des Publikums oder sonstiger unkontrollierbarer Leute ausgingen“. Der Kreisleiter der NSDAP versuchte etwa im November 1938 die Schließung des Ladens zu erwirken. Da Max Klemm offiziell alleiniger Inhaber des Ladens war und er seine arische Abstammung nachweisen konnte, scheiterte der Versuch.

Max Klemm starb plötzlich am 25. September 1940. 1949 gab Johanna Klemm in einer schriftlichen Anlage einen Herzschlag als Todesursache an. Zugleich betonte sie aber, dass die weitergehende Ursache die „ihm zugefügte Aufregung“ gewesen sei. Nach Kriegsende kursierte in Königstein das Gerücht, Max Klemm habe sich wegen der Schikanen und den daraus resultierenden Belastungen erhängt. Nach dem Tod ihres Mannes war Johanna Klemm auf Druck der NSDAP gezwungen, ihr Zigarrengeschäft zu verkaufen. Da ihre Tochter verheiratet war, konnte diese das Geschäft laut Aussage von Johanna Klemm nicht übernehmen. Johanna Klemm verlor mit dem Verkauf des Ladens ihre Existenzgrundlage. Der Druck der Partei ging jedoch weiter. Zwar war sie nach dem Tod ihres Manns nach eigenen Angaben zunächst keinen speziellen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Ab dem 19.9.1941 musste sie jedoch einen Judenstern tragen. 1942 schließlich musste sie ihre 4-Zimmer-Wohnung in der Adelheidstraße 1 aufgeben und Königstein verlassen. Ihre Wohnungseinrichtung stellte sie bei einer Firma in Frankfurt unter. Ein Bombenangriff vernichtete dort 1944 die Einrichtung vollständig.

Von Königstein zog Johanna Klemm nach Frankfurt und lebte dort zunächst in verschiedenen privaten Unterkünften, zuletzt in einer Wohnung in der Bleidenstraße. Die Gestapo zwang sie am 28. Februar 1943 in das sogenannte Judenhaus im Hermesweg 7 einzuziehen. Johanna Klemm berichtet in einer eidesstattlichen Erklärung vom 4. Mai 1950 von den Schikanen in diesem Haus. Die Gestapo habe in dem Gebäude ein Büro gehabt. Die Überwachung sei „ständig fühlbar“ gewesen. Ab 20 Uhr im Winter und ab 21 Uhr im Sommer hätten die Bewohner das Haus nicht mehr verlassen dürfen. Zeitweise wurden auch alle Bewohner unter Hausarrest gestellt. Sie durften das Haus nur verlassen, um der ihnen zugewiesenen Arbeit nachzugehen. Johanna Klemm vermutete, dass diese Maßnahme immer dann ergriffen wurde, wenn Deportationen erfolgten. Bei einem Bombenangriff im Oktober 1943 wurde das Haus im Hermesweg zerstört, sodass Johanna Klemm am 18. Oktober1943 in ein sogenanntes Judenhaus an der Ostendstraße umziehen musste. Auch in diesem Gebäude sei die Überwachung durch die Gestapo fühlbar gewesen.

Am 8. Januar 1944 wurde Johanna Klemm im Alter von 57 Jahren in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Ihre Mutter Auguste Löwenbaum war bereits am 18. August 1942 von Frankfurt nach Theresienstadt deportiert worden und dort kurze Zeit später verstorben.

Im Zuge der Deportation musste Johanna Klemm auch die letzten ihr verbliebenen Wertgegenstände, den Ehering ihres Mannes sowie ein Paar Perlenohrringe, abgeben. Sie berichtete, dass sie in Theresienstadt von gewaltsamen Übergriffen verschont geblieben sei. Sie sei jedoch nach einem Vierteljahr im Ghetto erkrankt, was sie auf die ihr zugefügten Leiden der letzten Jahre zurückführte. Sie habe in der Folge nur noch leichte Arbeiten wie Näharbeiten ausführen können. In einem Bericht an den Königsteiner Bürgermeister aus dem Jahr 1946 gab Johanna Klemm an, in Theresienstadt den Königsteiner Juden Adolf Heß getroffen zu haben. Auch bezeugte sie dessen Abtransport an einen unbekannten Ort. Am 2. Juli 1945 wurde sie aus dem Lager befreit. Trotz des ihr widerfahrenen Unrechts kehrte sie nach Königstein zurück. Am 10. Juli 1945 sandte ihr Bürgermeister Hubert Faßbender Blumen und einen Brief. Darin versicherte er ihr, dass er und die überwiegende Mehrheit der Königsteiner Bürger das an ihr begangene Unrecht „aufs tiefste bedauern und verabscheuen“ würden. Die Stadtverwaltung werde sich, soweit möglich, um Wiedergutmachung bemühen.

Als ehemals rassisch Verfolgte hatte Johanna Klemm Anspruch auf zwei Zimmer, welche sie in der Stresemannstraße 8 bezog. Sie lebte dort bis 1961, um dann ihren Lebensabend im Seniorenstift in Oberursel zu verbringen. Für das ihr widerfahrene Unrecht erhielt Johanna Klemm mehrere Entschädigungszahlungen sowie eine Rente wegen Schadens an Körper und Gesundheit. Mehrmals musste sie jedoch vor Gericht ziehen, um ihre Ansprüche gegen die Behörden durchzusetzen. So wurde ein Antrag auf Entschädigung für das Tragen des Judensterns vom Landgericht Wiesbaden abgewiesen, da Johanna Klemm es versäumt hatte, die Antragsfrist zu wahren.

Von ihrer Rente und den Entschädigungen konnte Johanna Klemm ihren Lebensunterhalt kaum bestreiten. 1962 beklagt ihr Anwalt in einem Schreiben, dass ihre Rente nicht einmal ausreiche, um die Unterbringungskosten im Altersheim zu decken. 1963 erreichte sie mit Hilfe ihres Anwalts eine Erhöhung der Rente. Trotz aller Leiden war Johanna Klemm kein verbitterter Mensch. Die ehemalige Leiterin der Königsteiner Stadtbibliothek, Hildegard Berberich, lebte wie Johanna Klemm in der Stresemannstraße 8. Sie erinnert sich an sie als eine ruhige, geduldige Person mit großmütterlichem Aussehen. Sie sei eine "Seele von Mensch" gewesen. Über die Vergangenheit habe sie fast nie gesprochen, die Sache sei für sie erledigt gewesen. Sie habe wieder aktiv am Leben in Königstein teilgenommen, etwa in der evangelischen Kirchengemeinde.

Johanna Klemm starb am 13. Oktober 1973.

 

Text: Schülerinnen und Schüler der Taunusgymnasiums Königstein