Dr. Bernard Spinak
Ölmühlweg 12
Dr. Bernard Spinak wurde als Sohn von Arija Spinak (Arya Szpinak) und Estera (Justina), geb. Welt, am 14. Oktober 1884 in Warschau geboren. Er studierte Medizin in Berlin, ansonsten ist über seine frühen Jahre nichts bekannt.
Am 30. April 1921 meldete er sich, von Berlin kommend, gemeinsam mit seiner 1888 ebenfalls in Warschau geborenen Ehefrau Julia in Königstein an. Zusammen mit Karl Fränkl hatte Bernard Spinak 1920 das Sanatorium Dr. Kohnstamm von den Erben des verstorbenen Dr. Kohnstamm erworben. Fränkl war der wirtschaftliche Leiter, Spinak übernahm die ärztliche Leitung zusammen mit dem früheren Mitarbeiter Kohnstamms, Dr. Max Friedemann.
Mit der Übernahme des renommierten Hauses, das weiterhin als „Sanatorium Dr. Kohnstamm“ betrieben wurde, erfolgten Reparatur- und Umbauarbeiten. Noch vor der Fertigstellung trafen die ersten Patienten ein. 1929 wurde Dr. Spinak als Geschäftsführer und Grundbesitzer des „Sanatorium Dr. Kohnstamm (Sanatoriumsgesellschaft mbH), Sanatorium für Nerven- und innere Krankheiten“ angegeben. Auch der in Berlin, Kurfürstendamm 13, wohnhafte Karl Fränkl war als Grundbesitzer eingetragen. Am 10. Oktober 1929 betrug die Anzahl der Beschäftigten 26 Personen. In den 1920er Jahren befanden sich auch Verwandte unter den Gästen, so der Kaufmann Arnold Spinak (vermutlich der Vater) und Fräulein Eugenie Spinak.
Dr. Bernard Spinak war im Vorstand der um 1930 zur Unterstützung von in Not geratenen Königsteiner Bürgern gegründeten "Notgemeinschaft" engagiert. Im März 1933 stellte er sein Ehrenamt zur Verfügung, da ihm eine Äußerung über das „Unerwünschtsein seiner weiteren Mitarbeit in der Organisation“ zugetragen worden war. Der Vorstand der „Königsteiner Notgemeinschaft“ stellte sich daraufhin hinter ihn. Drei Wochen später jedoch gab er das Amt des Kassierers auf.
Bis zur Zwangsschließung im Jahr 1938 wurde das Sanatorium sehr gut frequentiert. Es geriet während der NS-Diktatur zunehmend unter Druck, durfte zwar weiter betrieben werden, stand jedoch ausschließlich jüdischen Patienten offen. In der Kur-Zeitung vom 25. September 1938 wurde das Sanatorium ausdrücklich als „nicht arisch“ bezeichnet, im Oktober 1938 wurde es zwangsweise geschlossen.
Dr. Spinak wurde nach Polen ausgewiesen, seine Abmeldung aus Königstein wird auf der Meldekarte am 27. Oktober 1938 eingetragen. Sein Kollege Dr. Max Friedemann emigrierte über London nach New York. Über Warschau gelang Spinak auf abenteuerliche Weise die Flucht in die USA. Seine Frau war bereits 1924 verstorben und hatte ihre letzte Ruhestätte auf dem Königsteiner Friedhof gefunden.
In den USA lebte Dr. Spinak in Kalifornien, konnte aber auf Grund seines Alters nicht mehr als Arzt arbeiten. 1945 war er der Krankenpfleger des berühmten Schriftstellers Franz Werfel, der schwer herzkrank war und im August 1945 starb. Dessen Witwe Alma Mahler-Werfel erwähnt Spinak in ihren Erinnerungen „Mein Leben“ mehrfach, so auch mit den Worten: „Der liebe Dr. Spinak ist Tag und Nacht in Bereitschaft“.
Nach dem Krieg besuchte Dr. Spinak mehrfach Europa. 1954 hielt er sich in Königstein, im Sanatorium Dr. Amelung, auf. Der damals 70-Jährige wird als klein und sehr lebhaft beschrieben. Einer Mitpatientin fiel auf, dass er sich im Ort bemerkenswert gut zurecht fand und er auch viele Königsteiner kannte. Sie erfuhr die Geschichte seiner abenteuerlichen Flucht aus Polen:
Ende 1938 hatte Spinak in Warschau niemanden aus seiner Familie wiedergetroffen. Er hörte von der Möglichkeit, über Triest in die USA auszuwandern und fuhr deshalb im Oktober 1939 mit dem Zug von Warschau nach Krakau. Hier war ein längerer Aufenthalt, der von der SS häufig dazu genutzt wurde, um Jagd auf jüdische Flüchtlinge zu machen. Im Bahnhof wurde Dr. Spinak plötzlich von einem hochgewachsenen SS-Mann in hessischer Mundart angesprochen: „Was machen Sie denn hier, Dr. Spinak?“ Der SS-Mann forderte den Arzt auf, die Armbinde mit dem Judenstern abzunehmen und ging mit ihm in ein Restaurant, in das Juden keinen Zutritt hatten. Später belegte der SS-Mann einen Platz im Zug nach Triest mit der Aufforderung an Dr. Spinak, sich bis zum letzten Augenblick vor der Abfahrt draußen aufzuhalten und dann schnell den Platz im Zug einzunehmen. So gelang Dr. Spinak die Flucht aus Polen und er erreichte über Triest die USA.
Der Name des SS-Mannes ist nicht bekannt, bekannt ist aber, dass dieser als Malerlehrling Anfang der 1920er Jahre bei den Umbauarbeiten im Sanatorium Dr. Kohnstamm beschäftigt war. Als er dort des Diebstahls überführt wurde, wollte der Malermeister ihn sofort entlassen. Dr. Spinak bestand aber auf einem längeren Gespräch mit dem jungen Mann und setzte sich mit Erfolg für dessen Verbleiben auf der Lehrstelle ein. Dies hatte ihm der ehemalige Lehrling wohl nie vergessen.
Bei einem Königstein-Aufenthalt erkundigte sich Dr. Spinak nach dem Mann, der ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben gerettet hatte. Keiner in Königstein wusste, wo dieser war und es hieß, dass er aus dem Krieg nicht mehr zurückgekehrt war.
1954 bekamen Dr. Spinak und Clarence Franklin (so nannte sich Carl Fränkl jetzt) „die Liegenschaften des Sanatoriums in Bad Königstein durch eine vor dem hiesigen Amt (Entschädigungsamt Wiesbaden) geschlossenen Vergleich" zurück. 1955 erhielt Dr. Spinak eine Entschädigung für den erlittenen „Schaden im wirtschaftlichen Fortkommen“. Bei einem Königstein-Aufenthalte im Jahr 1960 kümmerte sich Dr. Spinak intensiv um die Entschädigung. Die Königsteiner Adresse, die er der Entschädigungsbehörde angab, lautete Sanatorium Dr. Küchler. Er war somit an den Ort seines Wirkens zurückgekehrt, denn nach 1945 betrieb der Arzt Dr. Küchler ein Sanatorium in den Gebäuden des vormaligen Sanatoriums Dr. Kohnstamm.
Dr. Bernard Spinak, der in Los Angeles, 802 Vermon Avenue ansässig war, starb am 27. August 1963 während eines Aufenthaltes in der Schweiz. Im gleichen Jahr war ihm und Clarence Franklin eine weitere Entschädigung zugesprochen worden. Dem waren jahrelange „Verhandlungen“ vorausgegangen, die sich auch mit dem Wert der von Ernst Ludwig Kirchner im Brunnenhaus des Sanatoriums im Jahr 1916 geschaffenen Wandfresken "Badeszenen aus Fehmarn" befasst hatten. Dabei galt es auch zu klären, wann genau die Wandgemälde zerstört worden waren.
Text: Beate Großmann-Hofmann