Siegfried und Rebekka Wetzler
Ölmühlweg 19
Siegfried Wetzler wurde am am 4. Juni 1880 in Binswangen in Baden-Württemberg geboren. Er hatte noch 11 Geschwister. Die Familie wohnte im Haus Nr. 146 (heute Kugelbergweg 19). Als Kantor, Schochet (Schächter) und Lehrer zog der Vater Moses 1883 mit der Familie nach Kronach. 1921 setzten sich die Eltern zur Ruhe und zogen zu ihrem Sohn Max nach Frankfurt. Max‘ Sohn Rudi gehörte der Reichsbannerbewegung an, die sich schon früh den Nazis widersetzte. 1934 floh er nach Amerika. Max war der Vater der bekannten amerikanischen Liedermacherin und Folkloresängerin Laura Wetzler, die vor allem auch jüdische Lieder aus aller Welt singt. Sie besuchte mehrmals Deutschland und trat u.a. in Kronach auf – in Erinnerung an ihren Urgroßvater Moses Wetzler. Einige der 12 „Wetzler-Kinder“ überlebten den Holocaust, andere nicht, darunter auch Siegfried.
Siegfried Wetzler heiratete Rebekka, geb. Danziger, die am 6. Oktober 1886 in Hassfurt geboren wurde. Er wurde Lehrer wie sein Vater und lebte zunächst in Wilhelmshaven. In den 1920er Jahren wirkte er in Frielendorf in Nordhessen. Zum 1. Juli 1929 wurde Siegfried Wetzler „zum Lehrer an der israelitischen Kultusgemeinde Königstein i.T.“ ernannt. Die Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck schrieb dazu am 14. Juni 1929: „Man sieht Herrn Wetzler hier nur ungern scheiden, da er zur größten Zufriedenheit dreieinhalb Jahre seine Kräfte in den Dienst der hiesigen Gemeinde gestellt hatte.“ In Königstein wohnte Siegfried Wetzler mit Familie im Haus der jüdischen Gemeinde im Ölmühlweg 19. Josef, der am 1. Januar 1912 in Wilhelmshaven geborene Sohn von Rebekka und Siegfried Wetzler, zog 1933 nach Paris. Siegfried Wetzler, der die Funktion eines Rabbiners wahrnahm, ließ Andersgläubige an jüdischen Gebräuchen teilhaben. So nahm er beispielsweise einen Nachbarsjungen aus dem Erdgeschoss mit in die Synagoge und gab ihm an Feiertagen Matze. Schon vor der Reichspogromnacht im November 1938 wurden Gebäude der jüdischen Gemeinde in Königstein beschädigt. In einer Meldung vom Februar 1937, die Siegfried Wetzler bei der Polizei machte, notierte der Polizeihauptwachtmeister, dass „auch in diesem Jahr wiederholt Fensterscheiben an der hiesigen Synagoge mittels Steinwürfe zertrümmert worden sind. Die gleiche Tat ereignete sich zweimal im vergangenen Jahre…“. Der Wachtmeister schlug vor: „…da die angestellten Ermittlungen nach dem Täter ergebnislos verliefen, dürfte eine öffentliche Warnung vielleicht zum Ziele führen können.“ Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde gab die Meldung an den Ortsgruppenleiter der NSDAP mit der Frage weiter, ob „von dort irgendwelche Vorschläge zur weiteren Verfolgung der Angelegenheit gemacht“ würden.
Über den 10. November 1938 zitiert Sturm-Godramstein in „Juden in Königstein“ Augenzeugen: „Dann sah ich, dass sie zum Hause der jüdischen Kulturgemeinde am Ölmühlweg (…) zogen; sie drangen in das Haus ein und hausten wie die Wilden. Man konnte draußen hören, wie mit einem schweren Hammer (…) auf Einrichtungsgegenstände eingeschlagen wurde; es wurden auch schwere Einrichtungsgegenstände nach draußen geworfen.“ … „Die Vorplatztür war eingeschlagen und alle Einrichtungsgegenstände waren mehr oder weniger demoliert. ….Ein großer Teil der Sachen war völlig zertrümmert; vor allem die Kücheneinrichtung … Von der Familie war zu dieser Zeit niemand anwesend; sie hielt sich in Frankreich auf, wo der Sohn studierte …“
Das Ehepaar Wetzler wurde später in Frankreich verhaftet und in das Camp Drancy bei Paris gebracht. Von dort aus wurden rund 65.000 hauptsächlich französische Juden in die Vernichtungslager nach Polen deportiert, darunter auch etwa 6000 Kinder. Mit dem Transport Nr. 42 wurde Siegfried Wetzler am 11. Juni 1942 nach Auschwitz-Birkenau deportiert, seine Frau Rebekka am 6. November 1942 mit Transport 901/36. Ihre weiteren Schicksale und Todesdaten sind unbekannt.
Text: Hedwig Groß